Geschichte und Entwicklung der HNO-Heilkunde
Die HNO-Heilkunde wandelte sich im 19. Jahrhundert aus der Chirurgie zu einem eigenständigen Fach. Dieser Prozess war zwangsläufig bedingt durch die fulminante Entwicklung neuer Operationsverfahren, die durch die Einführung der Narkose erst möglich wurden. Mit der Entdeckung des Mikroskops als Operationsinstrument zum Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Mittelohrchirurgie ihre erste Blüte. Rekonstruktionen der Gehörknöchelchenkette wurden erstmals vorgestellt. Es ging jetzt nicht nur um die Behandlung der Entzündung, sondern auch um die Erhaltung des Hörens. Der Fokus auf den Hörsinn wurde von nun an chirurgisch und konservativ bis zum heutigen Zeitpunkt eine Säule des Fachs.
Die plastische rekonstruktive Chirurgie
Durch die Katastrophe des ersten Weltkrieges mit seinen ungezählten Entstellten und Schwerstverletzten entwickelte sich ein neuer Zweig der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde: die plastische rekonstruktive Chirurgie von Kopf und Gesicht, deren Pionier der Berliner HNO-Arzt Joseph war. Die Erkenntnisse aus den grauenhaften Erlebnissen in den Feldlazaretten wurde zu Operationsverfahren standardisiert, die noch heute Grundlage für unfallchirurgische und tumorchirurgische Eingriffe sind. Bekannt und unvergessen wurde er jedoch als Vater der ästhetischen Kopf- und Halschirurgie mit seinem Standardwerk über die Gesichts- und Nasenchirurgie, das weit über das eigentliche Kernfach hinausgeht.
Minimal-invasive Operationen in der HNO
In den 60er Jahren entwickelte eine kleine Firma im schwäbischen Tuttlingen, die Karl Storz GmbH, zusammen mit amerikanischen Physiker Professor Harold Hopkins das Kaltlicht-Endoskop, das die Chirurgie revolutionieren sollte. Die „Schlüssellochchirurgie“ war geboren und die HNO-Heilkunde profitierte in besonderem Maße davon: Die engen und verborgenen Zielgebiete im Kopf- und Halsbereich erschwerten die Zugangswege bislang enorm, mit der Kaltlichtendoskopie war es nun mehr möglich, schonende, sogenannte minimal-invasive Operationen an den Nasennebenhöhlen und am Kehlkopf durchzuführen.
Hören und Hörverarbeitung
Hören und Hörverarbeitung sind auch bis zum heutigen Zeitpunkt nur ansatzweise verstanden worden. Einen großen Sprung nach vorne gab es in den siebziger und achtziger Jahren mit der Einführung objektiver Messverfahren zur Erfassung der Funktion von Hörnerven und Hörzellen. Damit verbunden war die Entwicklung von implantierbaren Hörgeräten, die zwischenzeitlich auch Tauben und Ertaubten wieder ein gesellschaftsfähiges Hören geben können. Der mühsame Kampf um die Bedeutung des Hörens für die kognitive Entwicklung des Kindes geht weiter. Hier sind wir in der Diagnostik weitergekommen, in der Kommunikation des Problems an die Eltern liegen noch viele Defizite. Auch das Tabuthema Hörgerät ist in unserer aufgeklärten Gesellschaft noch nicht einmal partiell diskutiert. Die berufliche und soziale Deprivation, die durch die Isolation des Schwerhörigen eintritt, ist ein relevanter Faktor hinsichtlich vermeidbarer Kosten von Frühverrentungen oder psychosomatischer Erkrankungen. Dabei sind moderne digitale Hörgeräte extrem leistungsfähig, komfortabel und zwischenzeitlich auch ästhetisch ansprechend konzipiert. Zudem besteht die Option implantierbarer oder teilimplantierbarer Hörgeräte, die das Stigma des Hörgerätes vollkommen verbergen.
Schnarchen und Schlafapnoe
Weitere Tabuthemen, mit denen die HNO konfrontiert ist, ist das Schnarchen. Auch hier kommen die Patienten, gemessen an der geschätzten Gesamtproblematik in der Bevölkerung, noch sehr zögerlich zum Arzt. Dies liegt zum einen daran, dass die Sozialproblematik, die das Schnarchen auf die partnerschaftliche Beziehung bewirkt, konsequent unterschätzt, wenn nicht vollkommen ignoriert wird. Die weiteren Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit, Krankheitshäufigkeit etc., die sich allein nur aufgrund einer sich daraus entwickelnden partnerschaftlichen Krise manifestieren, sind noch nicht einmal zu schätzen. Hinzu kommen die Fälle mit Atemaussetzern während des Schlafes, der sogenannten Schlafapnoe. Hier drohen gravierende Herz-Kreislauferkrankungen mit einer entsprechenden Verringerung der Lebenserwartung. Diese mannigfaltigen Schlafstörungen müssen diagnostisch geordnet und gesichtet werden. Hier hat sich in den letzten 15 Jahren in der HNO ein Prozedere aus verschiedenen diagnostischen und minimal-invasiven therapeutischen Maßnahmen entwickelt, das gezielt eingesetzt zu bemerkenswerten Ergebnissen führen kann.
Ballondilatation der Nasennebenhöhlen
Von dort führt der Bogen häufig wieder zurück zu den Ventilationsproblemen der Nase und der Nasennebenhöhlen. Die „Klimazone Nase“ ist von fundamentaler Bedeutung für eine regelrechte Funktion der oberen Atemwege. Konservative und operative Maßnahmen müssen gegebenenfalls regulierend eingreifen. In diesem Zusammenhang hat sich ein Verfahren entwickelt, das sich vollkommen von den operativen Prinzipien der HNO-Chirurgie gelöst hat und den Weg in die nicht-invasive Intervention bahnt: die Ballondilatation der Nasennebenhöhlen. Für die HNO ist dieser Schritt ähnlich bedeutsam wie vor 30 Jahren der Schritt von der Operation am offenen Herzen zur Koronardilatation. Die Dehnung der Nebenhöhlen statt der scharfen Präparation bedeutet für den Patienten ein Mehr an Sicherheit bei geringerer Beeinträchtigung durch die operativen und postoperativen Maßnahmen.
Das Bestreben, Behandlungswege zu entwickeln, die weniger eingreifend, weniger schmerzhaft, weniger belastend, kürzer und sicherer sind, ist ein wesentliches Kennzeichen der modernen Medizin, kann aber von den verschieden Fachgebieten auch nur in einem unterschiedlichen Takt geleistet werden. Die HNO-Heilkunde, die sich chirurgisch den Erkrankungen des Kopfes und des Halses widmet, hatte es schwerer, dem nachzukommen. Die Einsatzgebiete sind schwer zugänglich, doch mit mithilfe modernster Technologie können bemerkenswerte Ergebnisse erzielt werden.